Thesenpapier

Naomi Tereza Salmon

Version: eb9095849a

1 Zusammenfassung – TL;DR

Als ich Künstler war oder: Von der Zähmung und Professionalisierung einer mythischen Freiheit, oder: der Künstler als Arbeiter

Die Kunst und der Kunstbetrieb haben sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert und werden sich aller Voraussicht nach in Zukunft sogar noch weit rascher und durchgreifender ändern. In meiner Dissertation geht es um eine Analyse des Jetzt-Zustands des Kunstbetriebs und die Konsequenzen die daraus für die zu erwartende Entwicklung zu ziehen sind, insbesondere bezüglich der Ausbildung von Künstlern an Kunsthochschulen. Dort sollten meines Erachtens die beruflichen Aspekte des künstlerischen Feldes, (in und außerhalb der Akademie) verstärkt erläutert und vermittelt werden.

1.1 Schwerpunkte

Der Fokus der Arbeit liegt auf den folgenden 4 Hauptthemen und ihren Zusammenhängen:

Der Künstler als Begriff und die Entwicklung seiner Beziehungen mit dem Kunstbiotop stehen an der Basis meiner Forschung. Die Untersuchung der Begriffsgeschichte kann klären, welchen Rollenvorstellungen der Künstler bisher entsprach, und wie sein Bild in der Gesellschaft sich vom Klischee des Malers: Europäisch stammend, im Dachboden oder im Atelier mit oder ohne Barett hockend, zum Anzugstragender, Freischaffender, von anderen verwalteter Superstar entwickelt hat. Das gängige Künstlerbild, wie es von der (vorwiegend kleinbürgerlichen) Gesellschaft erwartet und immer häufiger durch die Medien dargestellt wird, weist eine Tendenz zur Bildung einer Starfigur auf, die oft ganz anders strukturiert ist als manche Künstler sich heutzutage selbst sehen und verstehen mögen. Dass sein Eigenbild verstärkt kommuniziert wird und dass das veraltete und ihm unangemessene Rollenklischee zurückgewiesen und verändert werden muss, ist eine Tatsache, die er längst wahrgenommen hat und daraus die Konsequenzen zieht.

an der er sich längst angewöhnt und worden.

Zu erkennen sind verschiedene Rollen und unterschiedliche ‘Künstlertypen’ oder Sorten, oder Strömungen. Zusätzlich zu den schon existierenden Rollenbildern sind zur Zeit aber auch einige neue Formen am Entstehen. Man kann etwa den am Kunstmarkt orientiertem Künstlertypus neben den an sozialen Aufgaben oder an Theoriediskursen orientierten Künstler nennen. Sie alle sollten von einander unterschieden und entsprechend anders ausgebildet werden. Dies erfordert andere Inhalte und Methoden und beispielsweise die Berücksichtigung von Quellen, die bisher in der Kunstlehre üblicherweise nicht herangezogen wurden es aber sollten.

Die Arbeitswelt ändert sich ebenso. Durch diesen Prozess – verursacht durch die globale politische und wirtschaftliche Situation – wird es mehr Platz und Möglichkeiten für Künstler im Spätkapitalismus geben, um sich eine eigene Nische unabhängig vom existierenden Kunstbetrieb zu bauen. Dass sich das Bild des Künstlers so geändert hat, liegt auch an den schon mutierten und noch weiter mutierenden Arbeitsverhältnissen. Der Künstler wandelt sich vom reinen Produzenten hin zum Unternehmer. Er kann sogar Inhaber eines Unternehmens werden und durch eigenes Kapital möglicherweise an Freiheit gewinnen und damit auch mehr Macht im gesellschaftlichen Geschehen ausüben. Künstler können ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit besser ausnutzen als andere. Jobs, die früher nur von Nichtkünstlern ausgeübt wurden, werden häufiger von Künstlern besetzt. Sie können sich etwa als Angestellte in den Bereichen Produktion oder Sozialarbeit betätigen oder eine der verschiedenen Funktionen im künstlerischen Feld wahrnehmen (der Studiengang, in dessen Rahmen diese Arbeit entstand, dient nicht zuletzt diesem Zweck).

Auf der anderen Seite können und müssen viele Jobs, die früher von anderen für den Künstler erledigt wurden, inzwischen von den Künstlern selber übernommen werden, wie z.B. Gestaltung und PR-Arbeit, Galeriebetrieb und Management und vor allem das Kuratieren. Sie müssen sich selber um ihre Vermarktung kümmern. Verschiedene ausdifferenzierte Berufsfelder im Kunstbetrieb werden zusammengezogen und sollen von einer Person allein bewältigt werden. Dies bringt veritable Paradigmenwechsel mit sich, wenigstens in den Aspekten Vermittlung und Ausstellung, vor allem aber auch für den Verkauf der Kunstwerke. Durch diese Interventionen wirkt der Künstler so auf neue Weise direkt auch auf seine ureigene Umgebung – nämlich das Biotop des Kunstbetriebs – ein und erweitert sie.

Dabei ‘erfinden’ sie auch Aufgaben für sich selbst – durch Aneignung, als künstlerische Aussage, als neue Strategie, womit gar nicht alle Ziele und Methoden genannt sind. So wie der Betrieb selbst zum Material künstlerischer Gestaltung wurde, ist auch längst die Arbeit in ihm zu einer künstlerischen Ausdrucksform geworden. Denn diese Aneignung betrifft nicht mehr nur Medien oder Ausdrucksmittel, sondern ganze Kulturtechniken. Künstler müssen Initiative ergreifen, und damit Macht und Verantwortung übernehmen. Längst setzen Politiker etwa in Berlin oder Detroit auf die künstlerische Kreativwirtschaft, um einen realwirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen.

Die Ausbildung der werdenden Künstler wird in Europa seit dem Beginn des Bologna-Prozesses im Jahr 1999 stark umstrukturiert. In der vorliegenden Arbeit habe ich die Auswirkungen auf das Studium und die Studierenden untersucht. Unter anderem habe ich die Kompatibilität des jetzigen Standes der Ausbildung mit dem, was die Studierenden nach dem Studium erwartet; die Struktur des Studiums; die Beziehungen zwischen Kunstmarkt und der Kunsthochschule am Beispiel der eigenen Universität mit künstlerischen Methoden erforscht und zum Thema der Ausbildung gemacht. Im Allgemeinen gilt: Wenn werdende Künstler in ein Kunststudium eintreten, haben sie zumeist ein bestimmtes unrealistisches Vorbild, und die Diskrepanz zwischen diesem, und dem was sie vorfinden, wenn sie die Akademie verlassen, ist sehr groß. Als Lehrende arbeite ich daran, diese Diskrepanz durch Informationserwerb, Vermittlungs- und Kooperationsarbeit weiter zu verringern. Dadurch hoffe ich verstärkt dazu beizutragen, dass die Kunststudenten an der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar besser trainiert werden und höhere Fähigkeiten entwickeln, sich zu vermarkten und ihre Arbeit zu verkaufen, und sie findiger im Ermitteln von Ausstellungsgelegenheiten werden. Denn größeren Erfolg bei der Stipendienbeantragung und Preisgewinn, Ausstellungsangelegenheiten und Verkauf – und das direkt nach dem Studium, wenn nicht schon innerhalb dessen, können manche jetzt schon vorweisen.

Das Netz und die Vernetzung sind durch die neuen technischen Möglichkeiten ein neues Feld für Künstler geworden. Die Tendenz, Alternativen zu den jetzigen Verhältnissen innerhalb des Kunstmarktes im Kunstbetrieb zu suchen und zu erproben, scheint im Netz zum Teil zu gelingen. Künstler und Experten der digitalen Medien entdecken eine gemeinsame Sprache und kooperieren. Die Welt der Kommunikation muss durch die Nutzung der Möglichkeiten digitaler Formate aus künstlerischer Sicht erweitern. Gleichzeitig wirkt das Netz im Hintergrund als Katalysator der bereits genannten Verschiebungen in der Arbeits- und Ausbildungswelt des Künstlers.

1.2 Thesen

Aufgrund meiner Analyse des Zustandes von Kunstlehre und Kunststudium an der Bauhaus-Universität Weimar, sowie durch Vergleiche mit anderen Kunstakademien, meiner eigenen Erfahrung als Künstlerin und Kuratorin sowie aufgrund meiner Analyse des Künstlerbildes und der aktuellen technischen Möglichkeiten, ergeben sich folgende Konsequenzen und Prognosen:

1. These: zum Künstler
In Zukunft werden bereits die Ideen allein als geistiges Eigentum des Künstlers anerkannt und belohnt werden müssen. Damit wird die künstlerische individuelle Handschrift von sekundärer Wichtigkeit sein. Die Entwicklung von Selbstbestimmung und Verfügung nicht nur über die Urheber- inklusive den Verwertungsrechten zeigt schon jetzt ihre Auswirkung in der Kunstwelt und ebnet den Weg zu mehr Kooperation als bisher möglich oder sinnvoll war.

2. These: zur Arbeit
Künstler können sich heute auch gut auf dem Kunst- und Arbeitsmarkt behaupten, ohne auf die gängigen Vermittlungs- und -verkaufssysteme des Kunstbetriebs zurückgreifen zu müssen. Sie haben die Chance, sich von bloßen Markteilnehmern zu einer Marktkraft zu entwickeln, was jedoch unweigerlich Kraft und Zeit von ihrer künstlerischen Arbeit subtrahiert. Dabei muss nicht nur unbedingt der ‘Künstler als selbständiger kapitalistischer Unternehmer’ entstehen. Künstler arbeiten jetzt schon durchaus viel mehr innerhalb von Gruppen oder in Form von Kooperativen anstatt als Einzelkünstler. Dies soll auch in der Ausbildung eingeübt und vor allem sollen die skills dazu vermittelt werden. Vielleicht sollten noch mehr soziale Aufgaben an sie abgegeben werden.

3. These: zur Ausbildung
Die Kunstausbildung muss sich anpassen. Es reicht nicht aus, die Studenten für den herkömmlichen Kunstbetrieb zu trainieren. Wir müssen die sich hier abzeichnenden Veränderungen aktiv gestalten und die neu entstehende Generation von Künstlern dazu befähigen, es uns gleich zu tun. Ihre und unsere künstlerische Arbeit am Kunstbetrieb soll dafür sorgen, dass die sich bietenden Chancen im Sinne einer zu befürwortenden Zukunft genutzt werden.

4. These: zum Netz
Neben dem digital native und der ‘Digitalen Bohème’ entwickelt sich der Typus ‘Digitaler Künstler’. Durch die Übernahme von Kulturtechniken und Kooperationen mit medienbasierten Künstlern können sie, um sich durch das Angebot im Netzwerk besser zu behaupten: erstens eigene Distributionen und PR betreiben (auf Webseiten, in Blogs, und in sozial Netzwerken) und zweitens durch eigene Online-Präsenz eine Raumerweiterung schaffen, in denen auch Kontakte geknüpft werden. Diese gelten meist nicht nur in der virtuellen Welt, sondern führen zu realen Aktivitäten im nicht-virtuellen Raum, wie z.B. Verkauf und Beschäftigungsmöglichkeiten. Und auch gesamtgesellschaftlich betrachtet sind die sozialen Eigenschaften des Internets in der Lage, auch im realem Leben neue Verhältnisse herzustellen. Hier kann die Kunst eine verstärkte Vermittlerrolle einnehmen.


Diese Feststellungen basieren auf meinen Recherchen zu diesen 4 Hauptthemen im Rahmen meiner Arbeit in der Lehre und der eigenen künstlerischen Praxis der letzten Jahre und reflektieren diese. Meine bestehenden und seitdem entstandenen Experimente entwickeln diese Theorie und bilden deren Basis. Sie sollen gleichzeitig als Beispiel für ihre Anwendung dienen und bieten einen Überblick über die Praxis. Für Einzelheiten verweise ich auf den separaten Anhang der schriftlichen Ph.D.-Arbeit, besonders den KIOSK09-Katalog, dem meine künstlerische Forschung in den letzten Jahren überwiegend gewidmet war.

Naomi Tereza Salmon

Weimar, Herbst 2012